Kunstwerk des Monats Juni

Günter Fruhtrunk, Grosse Kadenz, 1972


Günter Fruhtrunk

*1923 in München, † 1982 in München


Grosse Kadenz, 1972


Acryl und Kasein auf Leinwand

190,4 x 265,6 cm
Erworben mit Mitteln der Stiftung Freunde des Kunstmuseum Liechtenstein

In Günter Fruhtrunks frühen Werken der 1950er Jahre sind geradlinig und kurvig begrenzte Formen, später geometrische Grundformen in verschiedenen Ausrichtungen auf der Bildebene angeordnet. Oft sind es farblich voneinander abgesetzte Flächen, die durch ihre Überschneidungen ein Davor und Dahinter, einen nicht-perspektivischen Bildraum schaffen.

Im 1972 entstandenen Bild Grosse Kadenz hingegen ist jede Illusion von Räumlichkeit aufgegeben. Anstelle einer Komposition einzelner Elemente ist aus diagonalen Streifen eine Struktur gebildet, die keine Unterscheidung von Figur und Grund mehr zulässt. Diese Struktur erscheint als eine potenziell unendliche, ihre fallende Bewegung übersteigt die Begrenztheit des Bildfeldes. Auch wenn das zu Sehende – trotz des grossen Bildformates – wie ein Ausschnitt erscheint, so entzieht sich seine Erweiterung einer konkreten Vorstellbarkeit. Die Suche nach Symmetrien, Regelmässigkeiten oder einem Ausgangspunkt zur rationalen Erfassung des Bildes bleibt erfolglos. Als wiederkehrende Strukturelemente erkennbar, treten die diagonalen Bänder in verschiedenen Breiten und stets veränderten Farbumgebungen auf. Durch die Kontrastierung, die durch einzelne feine Linien zwischen den Streifen zusätzlich aufgeladen wird, kommen selbst identischen Farben unterschiedliche Wertigkeiten zu.

Eine intellektuelle wie auch optische Herausforderung, eine «Provokation», sah der Kunsthistoriker Max Imdahl in solchen Gemälden. Fruhtrunk selbst hat die Bildwirkung als Rhythmus beschrieben: «Seinem Wesen nach entzieht sich Rhythmus dem Zugriff des Begriffs, dem Festhalten.» Der Musik entlehnte Begriffe treten oftmals auch in Fruhtrunks Bildtiteln auf, die ein starkes Bewusstsein des Künstlers für die Sprache erkennen lassen. Verweisen sie zunächst noch auf etwas Technisches, gewinnen sie seit Mitte der 1970er Jahre an existenziellem Gehalt, indem sie zunehmend auf das Verhältnis von Individuum und umgebender Welt Bezug nehmen.

<b>Günter Fruhtrunk, Grosse Kadenz, 1972
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Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.