Kunstwerk des Monats August 2019

Mario Merz, Senza titolo, 1978

Mario Merz

* 1925 in Mailand, Italien, † 2003 in Mailand, Italien


Senza titolo, 1978


Metallstangen, Metallnetz, Wachskonus mit Ast, Neonzahlen, Holzsockel Iglu: 164 × Ø 300 cm
Privatsammlung | Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz

«Alle Räume, die uns umgeben, unterscheiden sich voneinander. Es gibt viele Räume. Der jeweils umgebende Raum wirkt auf die menschliche Psyche ein», so Mario Merz. Der Iglu verkörpert für ihn einen «gewölbten Raum». Als Antagonismus zum «geraden Raum» – als Sinnbild für Organisation, Gesetze und Normen, für Funktionalität und Ökonomie – be- trachtet Merz den «gewölbten Raum» als einen Ort der Kreativität, der unzensierten Ideen, des Fragenstellens und der Autonomie: «Ich will Situationen und Werke schaffen, die imgewölbten Raum entstehen und in den gewölbten Raum eingehen.»

Die Form des Iglus taucht in Merz' Werk erstmalig 1967 / 68 auf. Das auf- und wieder abbaubare Grundgerüst dieser Werkgruppe besteht aus gebogenen Metallstangen. Der- artige Architekturen dienen üblicherweise als temporäre Heimstätte eines nomadischen Lebens. Merz selbst baute seine Iglu-Strukturen mit verschieden Materialien, wie Glas, Stoff oder Stein, weiter aus. Auf der Metallnetz-Aussenfläche von Senza titolo, aus der die halbrunde Kuppel dieses Iglus besteht, befinden sich spiralförmig angebracht Neonzahlen der Fibonacci-Folge. Diese ist eine seit dem Mittelalter bekannte Zahlenordnung, die ein progressives Wachstum darstellt, welches sich auch in der Vermehrung mancher Tier- und Pflanzenarten nachweisen lässt.

Die erdverbundene Halbkugel offeriert trotz ihrer Durchlässigkeit zwischen Innen und Aus- sen Schutz und Geborgenheit. Es scheint als könne nichts die ruhende Stabilität der noma- dischen Energie einschränken, vielmehr entfaltet sich die Kraft eingebunden in die Geset- ze der Natur. Dieser Eindruck wird verstärkt durch einen mit Wachs ummantelten Ast, der gleich einer Lanze, gleich einem energiegeladenen Blitz, in den Innenraum eindringt und so den gewölbten Kuppelraum in symbolhafter Weise mit Energie, Vertikalität, Wachstum und Wärme erfüllt. «Man sollte in Antithese zu den aktuellen Modellen bauen. Bauen in Entwick- lungs- und Rückzugsprozessen, mit und ohne Einsatz des Willens, in natürlichem Rhythmus, Tag und Nacht. [...] Bauen ist die stündliche und tägliche Notwendigkeit, den eigenen Willen in Einklang zu bringen mit dem, was im Leben in feinster Verteilung enthalten ist.»

Christiane Meyer-Stoll

<b>Mario Merz, Senza titolo, 1978</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.