Kunstwerk des Monats Dezember

André Thomkins, Gründerzeit, 1953

André Thomkins

* 1930 in Luzern, † 1985 in West-Berlin


Gründerzeit, 1953


Feder in Tusche auf Papier
10.9 x 20 cm
Signiert: recto: u.r. (Tusche): André Thomkins 1953
Inv.-Nr. KML 2005.25

Mit fein gezogenen, präzisen Strichen entwirft in seiner Federzeichnung Gründerzeit André Thomkins ein häusliches Interieur. Er entführt den Betrachter in den privaten Raum einer Familie. Es ist Nacht, der Mond schwebt sichelförmig über der Szenerie. In die obere Bildmitte setzt Thomkins eine Zimmerarchitektur, die nach vorne hin offen ist und zur Hälfte von einem Bettgitter gesichert wird. In diesem Zimmer liegt ein Kleinkind auf dem Rücken, es strampelt mit Beinen und Armen. Neben diesem liegt eine weitere Person, die mit Kopf und Füssen an die Wände der angedeuteten Architektur stösst. In der rechten Bildhälfte sitzt ein Mann in gebückter Haltung an einem Tisch und schreibt. Hinter ihm, leicht verdeckt, sitzt eine Frau, beide Hände in den Schoss gelegt.

André Thomkins gelingt es, mit minimalen bildnerischen Mitteln das zu seiner Zeit noch vertraute Bild einer Familie zu entwerfen: Der Mann schreibt, die Frau sitzt zurückversetzt nach erledigtem Haushalt auf der Ofenbank, die Kinder schlafen zu mehreren in einem eigenen Alkoven-artigen Raum. Ins Wanken gerät dies durch die perspektivische und räumliche Zerlegung: Die Eltern befinden sich nicht mehr in einem abgeschlossenen Raum, sondern viel eher auf einem von Stützen getragenen Plateau. Es ist eine offene Anordnung, ein aufgebrochenes Gefüge, perspektivische Auf- und Ansicht überlagern sich.

In der Bildmitte verdichten sich die Federstriche. Dort liegt, ruht, lauert das Haustier der Familie. Es führt den Betrachter in die fantasievolle Welt des Künstlers ein. André Thomkins war Zeichner, Maler, Objektkünstler, Dichter – beinahe unerschöpflich ist die Formenvielfalt, die er schuf, genauso wie sein Spiel mit Wörtern und Sprache. Er war verwurzelt in den Avantgarden des 20. Jahrhunderts, dem Surrealismus und Dadaismus, er arbeitete zusammen mit den Künstlern des Nouveau Réalisme und der Fluxus-Bewegung. Gründerzeit zeigt seine Vorliebe für das kleine, intime Format, Humor und seinen Formenreichtum.

Robin Hemmer

<b>André Thomkins, Gründerzeit, 1953</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.