Kunstwerk des Monats Mai

Willem de Kooning, Untitled XVII, 1976

Willem de Kooning

* 1904 in Rotterdam, Niederlande, † 1997 in Springs, New York, USA


Untitled XVII, 1976


Öl auf Leinwand

150,8 x 139,4cm

Schenkung der Stiftung zur Errichtung eines Kunstmuseums

Um sich dem Werk Untitled XVII anzunähern, scheint es wertvoll, zunächst den eigenen in der Betrachtung aktivierten Sehprozess zu beobachten: Das Auge wandert über die Bildoberfläche, sucht nach Fixierungsankern, steht selten still; angezogen von einer Farbe oder einem Verhältnis bestimmter Farbigkeit findet es schliesslich einen Anhaltspunkt, verweilt hier, um aufgrund unseres alltäglich gewohnten Wahrnehmungsprozesses den Versuch zu unternehmen, Gegenständliches zu identifizieren, Erfahrbarem Sinn zuzuschreiben. Doch die malerische Komposition, die sich dieser Bestrebung stetig wieder entzieht, führt das Auge weiter und hält es dadurch in einem kontinuierlich gleitenden Suchprozess.

Eine weitere mögliche Annäherung findet sich über den Bildaufbau. Es erscheint letztlich unmöglich, einen Farbgrund auszumachen, von dem aus sich die anderen Farben absetzen. Vielmehr bricht Willem de Kooning mit der klassischen Perspektive und löst im Sinne des All- over-Prinzips das Zentrum auf zugunsten einer radikalen Bewegtheit der gesamten Fläche, einer kraftvollen Gleichzeitigkeit der gestischen Komposition. In diesem gleichwertigen, scheinbar geschlossenen, abstrakten Ganzen hält sich das Werk in Balance und bietet zugleich die Möglichkeit des Verweises – nicht auf die exakte Darstellung von etwas, sondern vielmehr auf den Anstoss eines flüchtigen Imaginierens von etwas. Denn trotz seines abstrakten Charakters liegt dem Werk die bildnerische Konzeption zugrunde, die Gestalt, die im Werden begriffen ist – das heisst in statu nascendi – zur Aufführung zu bringen. Die stetig suchende Bewegung unseres Sehens, die immer wieder aufs Neue nicht eindeutig fassbare Verdichtungen ausmacht, unterstreicht diesen Gedanken: «Inhalt ist ein flüchtiger Eindruck von etwas, eine blitzartige Begegnung. Er ist ganz winzig – sehr winzig, der Inhalt.» Untitled XVII ist in seiner bewegten gestischen Malweise von Dynamik und Explosivität durchdrungen. Dabei zeugt gerade der stete Entzug inhaltlicher Formwerdung von grosser Emotionalität und einem erotischen Gestus. Willem de Kooning gehört zu den wichtigsten Vertretern des Abstrakten Expressionismus.

Denise Rigaud

<b>Willem de Kooning, Untitled XVII, 1976</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.