Kunstwerk des Monats Juli

Gloria Friedmann, Nocturne, 1990


Gloria Friedmann

* 1950 in Kronach, Deutschland


Nocturne, 1990


Rabenfedern, Holz

180 × 110 x 5 cm
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz

Gloria Friedmanns Werk Nocturne setzt tiefschwarze Rabenfedern ins Bild. Glanzvoll und weich das Gefieder, fest und biegsam der Federkiel, verleihen sie dem Werk eine geheimnisvolle und kraftvolle Anmutung. Dabei wirkt die Anordnung des aus der Natur stammen­ den Materials in ihren Schwüngen wie eine malerische Geste. Und zugleich lässt der Titel Nocturne den Bereich der Musik anklingen. Die Nocturne ist ein elegisches oder träumerisches Charakterstück. War ihre formale Struktur im Barock nicht eindeutig festgelegt, so wird die Bezeichnung während der Romantik zumeist mit einem unterhaltenden, in Liedform gehaltenen Nachtstück für Klavier in Verbindung gebracht. In der Kunst der Romantik ist die Schwelle hin zur Dunkelheit – dem Nächtlichen – vielfach symbolisch aufgeladen.

«Den Gefühlen, die die verschiedenen Materialien erwecken, als auch ihre verborgene Verbindung mit vergangenen Zeiten, lasse ich grösstmöglichen Raum. Erde, Stein, Holz, Tierhäute, Öl und Wein sind alte Symbole, die philosophische Dogmen und geistige Urbilder erwecken, deren Sinn verloren scheint – eine Art poetische Philosophie», so die Künstlerin. Das Motiv des Raben und seine ‹gefederte Gabe› tauchen in vielen Mythen, Religionen und Legenden symbolträchtig auf. So tritt der schwarze Vogel etwa bei den Kelten als Orakeltier auf, während er im indianischen Mythos als ein Symbol für göttliche Kraft und Schöpfertum gilt. Im Christentum hingegen wird der Rabe unter anderem mit der sinnbildlich beängstigenden Nacht, einer Metapher für das zu verdrängende ‹Böse›, verbunden. Die Rabenfeder im Besonderen gilt zudem als ein Begleiter oder Überführer für Zwischenwelten und Schwellen.

So führt Friedmann mit ihrer konzeptionellen Komposition den Betrachter hin zu den in unserem kulturellen Gedächtnis verschiedenartig anklingenden Erzählsträngen des Übergangs von Tag zur Nacht – der ‹Nachtwerdung›.
Das menschliche Dasein als Teil der Natur und auf diese Weise von ihr betroffen, ihr in jeglicher Perspektive verantwortungsvoll verbunden – dies ist der thematische rote Faden, der sich durch Gloria Friedmanns Werk zieht: «Teil der Natur, bin ich selbst Natur und gleich­ zeitig ich selbst».

Denise Rigaud

 

<b>Gloria Friedmann, Nocturne, 1990
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Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.