Kunstwerk des Monats August

Paul Neagu, Cake-Man, 1971

Paul Neagu

* 1938 in Bukarest, Rumänien, † 2004 in London, Grossbritannien


Cake-Man, 1971


S/W-Fotografie
25,3 x 24 cm
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz

 

Zwei zusammengesetzte Schwarz-Weiss-Fotografien, entstanden 1971 im Rahmen der Ausstellung «Romanian Art Today», zeigen den Künstler Paul Neagu im Kellergeschoss der Richard Demarco Gallery in Edinburgh, Schottland.

Abgebildet ist Neagu, wie er mit Kreide einen menschlichen Körper auf den Boden zeichnet. Dieser ist in 80 kleine, quaderähnliche Fächer aufgeteilt. Ein schlaufenförmiger Pfeil deutet auf die Vorlage der Zeichnung: 80 Schablonen aus Karton, Gips und Klebeband für die Zellen, welche zusammengesetzt die Form eines Körpers ergeben.

Diese Schablonen dienten dem Künstler als Hilfsmittel bei der Performance Cake-Man, die er einige Monate zuvor in den Räumlichkeiten des Londoner Galeristen Sigi Krauss aufführte. Dabei befüllte Neagu die 80 Zellen mit jeweils fünf Lagen Honig und Waffeln, die nach der Vorlage der Schablonen zugeschnitten wurden und die er vor Ort herstellte. Jedem im Vorfeld angemeldeten Besucher wurde eine spezifische Zelle zugeteilt, die während der Performance verspeist werden konnte.

Den Ausgangspunkt zu dieser Performance bildet ein Werkkomplex, den Neagu als Anthropocosmos beschreibt. In diesen Arbeiten wird die menschliche Figur geteilt und in eine Bienenwabe aus Zellen ausgegliedert. Die zellulären Schichten existieren als separat greifbar und lösen den festen visuellen Umriss der menschlichen Form auf, der sich dennoch weiterhin durch sie hindurchzieht.

In seinem Palpable Art Manifesto forderte Neagu 1969, dass eine Kunstbetrachtung anhand aller Sinneswahrnehmungen stattfinden soll – Sehen, Berühren, Riechen, Schmecken, Hören.

Dadurch schuf Neagu ein eigenes mentales Ordnungssystem, das seine vielfältigen Kreationen miteinander verbindet. Der partizipatorische Cake-Man ist dafür ein besonders anschauliches Beispiel, das auch Assoziationen zur Eucharistie und einstigen Volkstraditionen nahelegt. So wurde in Rumänien häufig der Todestag einer Person mit Honigkuchen und Honigwein zelebriert.

Henrik Utermöhle

 

«Es sollte eine einzige, öffentliche, sinnlich erfahrbare Kunst geben, in der sich alle Sinne – Sehen, Tasten, Riechen, Schmecken – gegenseitig ergänzen und verschlingen, so dass die Menschen ein Objekt mit allen Sinnen in Besitz nehmen können.»

Paul Neagu, Palpable Art Manifesto, 1969

<b>Paul Neagu, Cake-Man, 1971</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.