Kunstwerk des Monats März

Rivane Neuenschwander, Alfabeto comestível (Essbares Alphabet), 2001

Rivane Neuenschwander

* 1967 in Belo Horizonte, Brasilien


 Alfabeto comestível (Essbares Alphabet), 2001


PVC-Tafeln, Nahrungsmittelpulver, Klebeband, 26-teilig
jede Tafel 71,5 × 50 cm
Privatsammlung / Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz

 

Alfabeto comestível besteht aus 26 Tafeln mit farbigen horizontalen Streifen auf weissem Grund, die in ihrer formalen Erscheinung an die Sprache der abstrakten Malerei der Minimal Art der 1960er-Jahre erinnern. Bei den hier verwendeten Farbpigmenten handelt es sich jedoch um Gewürze (Nahrungsmittelpulver) aus aller Welt, die mit Klebeband auf PVC-Platten befestigt sind.

Die Namen der Gewürze in verschiedenen Sprachen bilden zugleich das lateinische Alphabet und bestimmen die Reihenfolge der Hängung von A bis Z: Açafrão, Black pepper, Colorífico, Dill, Espinafre, Feijão árabe, Gergelim, Hähnchen, Indian curry, Jamaican pepper, Kräutersalz, Lorbeer, Mustard, Noz moscada, Orange, Pimenta chili, Quatre épices, Rote Bete, Semente de papoula, Tomate, Urucum, Vinaigrette, Wasabi, Xique-xique, Yellow corn flour, Zattar. Die würzenden und geschmacksgebenden Aromen bieten nicht nur zahlreiche Farben, sondern anfänglich werden auch ihre ätherischen Öle geduftet haben. Eine sinnliche Metapher für die Welt mit ihrer Vielfalt an Gewürzen, Aromen, Gerüchen und Farben verknüpft mit einer der Grundlagen menschlicher Kommunikation: dem Alphabet.

Das Werk ist geprägt von einem hohen Interesse an kulturellen, psychologischen und soziologischen Fragestellungen. Die Künstlerin spürt dabei Traditionen und Konventionen nach, greift sie auf, führt sie weiter, lässt oftmals mit partizipierenden und spielerischen Formen Neues entstehen. Mit ästhetischer Leichtigkeit geht sie alltäglichen Vorstellungswelten als auch der Sprache auf den Grund. «Die Sprache hat in meiner Arbeit immer eine wichtige Rolle gespielt.» Die Verknüpfung der kleinsten Einheit des Alphabets, dem Buchstaben, mit der Vielfalt der Gewürze aus aller Welt regt zu einer freien Assoziierbarkeit an und dazu, inhärente Strukturen mit vielfältigen Bestandteilen zu würzen. Wie kann eine existierende Sprache überführt werden in eine neue, in eine poetische und den Menschen zugewandte Sprache? Wie kann es gelingen, Platz für neue Äusserungen zu schaffen? Neuenschwander vertraut in ihrem Werk der Kraft der Poesie.

Christiane Meyer-Stoll

 

«In den späten 1990er-Jahren arbeitete ich mit einfachen, flüchtigen Materialien, die den Menschen in Brasilien vertraut sind: Knoblauchschalen, Ameisen, getrocknete Blumen, Seifenblasen, Gewürze, Staub, Kokosseife, Wasser, Schnecken. Ich mochte es, über grosse philosophische Themen nachzudenken – Zeit, Sterblichkeit, Gott – durch unbedeutende und nahezu unsichtbare Dinge.»

Rivane Neuenschwander

 

<b>Rivane Neuenschwander, Alfabeto comestível (Essbares Alphabet), 2001</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.