Kunstwerk des Monats April

Willem de Kooning, Cross-Legged-Figure, 1972, Hilti Art Foundation

Willem de Kooning

1904 in Rotterdam – 1997 in Long Island, New York


Cross-Legged-Figure, 1972


Bronze (Guss: Modern Art Foundry, New York)
62,2 x 42 x 42 cm
Hilti Art Foundation, Schaan

 

1969 nutzte De Kooning in Rom die zufällige Begegnung mit einem Künstlerfreund, dem Bildhauer Herzl Emmanuel, für die spielerische Bearbeitung von Ton und dessen Umset­zung in Bronze in der ihm zur Verfügung gestellten Werkstatt. Aus dieser Tätigkeit ent­standen anfänglich kleinere Objekte, später dann mittelgrosse bis monumentale Plas­tiken grundsätzlich anthropomorpher Erscheinung. Bedeutsam ist dabei De Koonings Umgang mit dem Material und die daraus entstehende Figur. Es scheint, als entwickele sich diese nicht gemäss der Tradition von innen nach aussen, von einem stabilen inneren «Skelett» hin zu «Fleisch» und «Haut», sondern, gemäss dem Wirken der Hände, von aus­sen nach innen, d.h. die Hände folgen nicht der Logik der Figur, sondern die Figur folgt der Logik der Hände und ihrer direkten Krafteinwirkung auf den Werkstoff. Vielfach mit geschlossenen Augen geformt, gehen die Bewegungen und Empfindungen des Künstlers unmittelbar in das Material ein. Daraus resultieren Gebilde, die sich analog zu De Koo­nings expressiver, zwischen Figuration und Gegenstandslosigkeit changierender Malerei verhalten.

Manche von ihnen, wie etwa Cross-Legged-Figure, vermögen nicht aus eigener Statik zu stehen, sondern liegen oder bedürfen einer Stützkonstruktion, um instabil im Raum zu schweben. So lässt die schwebende Dynamik von Cross-Legged-Figure an eine tanzende Gestalt denken, etwa an den indischen Gott Shiva oder an einen mittelalterlichen Moriskentänzer, ebenso an modernen Ausdruckstanz, ja an den Tanz im Allgemeinen und seine ebenso standardisierten wie ekstatischen Bewegungsformen. Abseits alles Tänzerischen gestattet die Figur jedoch auch die Vorstellung, ihre Existenz veranschauliche entweder ein naturgeschichtliches Frühstadium und somit ein der Schöpfung innewohnendes Entwicklungspotential von Materie und Geist, oder aber ein zivilisationsgeschichtliches Endstadium, in dem jedes Potential als Resultat einer Katastrophe erschöpft ist und nichts als deformierte, geistlose Materie zurückbleibt.

Uwe Wieczorek

 

«Die Textur der Erfahrung hat Vorrang vor allem anderen.»
Willem de Kooning

<b>Willem de Kooning, Cross-Legged-Figure, 1972, Hilti Art Foundation</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.