Kunstwerk des Monats August

Diamond Stingily, dead Daughter, 2021

Diamond Stingily

1990 in Chicago, IL, USA


dead Daughter (Tote Tochter), 2021


Teppich, 5 Vasen mit Kunstblumen-Sträussen, 5 lackierte Sockel, 16 Bronzegüsse, 8 Wachsgüsse
Teppich: 550 × 550 cm
Dimensionen variabel
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz

 

In Diamond Stingilys Werk verknüpfen sich persönliche Erinnerung und gesellschaftliches Gedächtnis eng miteinander. In ihren Arbeiten beschwört die Künstlerin eine Vielfalt an starken Gefühlen wie Hingabe, Verlangen, Leid, Angst und Wut herauf, indem die private Sphäre gleichzeitig auf die externen Gegebenheiten verweist, die sie beeinflussen. Die Installationen, Skulpturen und Videos bestehen meist aus alltäglichen Objekten und gefundenem Material, das aber mehr einen Reliquien-Charakter aufweist als den eines Readymades. Haare, Ketten, Türen und Kunstblumen bilden Requisiten einer Erzählung oder eines Theaterstückes, das stattgefunden hat oder noch stattfinden wird, und somit emotional und narrativ geladen ist. Vergänglichkeit und Verlust sind immer wiederkehrende Themen in ihrer Arbeit und zentral in ihrer Installation dead Daughter: Rosa Sockel mit farbprächtigen Sträussen aus Kunstblumen stehen auf einem ebenfalls rosafarbenen Teppich, auf dem Bronze- und Wachsabdrücke der Hände und Füsse der Künstlerin liegen. Ist es ein Begräbnis oder eine Wiedergeburt? Das Werk beruht auf der aufwühlenden Begegnung von Stingily mit dem Roman Le Testament de la fille morte von Colette Thomas, der 1954 unter dem Pseudonym René herausgegeben wurde. Giorgio Agamben weist in der italienischen Übersetzung des Buches darauf hin, dass René mit Wiedergeburt¹ zu tun hat. Das Buch ist zugleich Tagebuch und Gedichtband, ein Buch der Grausamkeit der Liebe, in dem Vergangenheit und Zukunft sich vermischen, ein Roman des Todes und der Auferstehung. Es ist das Testament von Colette Thomas, einer der «jeunes filles à naître» («ungeborene junge Frauen [Töchter?]»), und es hat im künstlerischen Parcours von Diamond Stingily eine Wahlverwandtschaft gefunden.

Letizia Ragaglia

 

¹ Das französische Wort renaître bedeutet im Deutschen wiedergeboren werden, als Partizip rené ist es identisch mit dem Pseudonym der Autorin.

 

«In meiner Arbeit geht es um mich und meine Erfahrungen und darum, wie ich diese anderen Menschen vermitteln kann.»

Diamond Stingily

<b>Diamond Stingily, dead Daughter, 2021</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.