Kunstwerk des Monats Januar

Alighiero Boetti, Normale e anormale, 1987

Alighiero Boetti

* 1940 in Turin, Italien, † 1994 in Rom, Italien


Normale e anormale, 1987


Baumwollstickerei auf Leinwand, auf Keilrahmen gespannt
18,5 × 18,3cm

«Ich erinnere mich wie ich als Kind den Satz eines chinesischen Philosophen las: ‹Das Universum ist ein Quadrat ohne Ecken.› Vielleicht wollte er damit sagen, dass man das Universum entweder als sich ausdehnend oder als sich zusammenziehend betrachten kann, denn ein Quadrat ohne Ecken besteht eigentlich aus vier unverbundenen Strichen. Diese wenigen Worte können das Denken in Bewegung versetzen [...]. Ein gutes Bild sollte meines Erachtens eine analoge Funktion besitzen.»

Ein kleines, quadratisches, farbenreiches, gesticktes Bild mit 4 × 4 Quadraten, in denen sich ein farbiger Grossbuchstabe auf andersfarbigem Grund findet. Gelesen von links nach rechts oder von rechts nach links entstehen Folgen unverständlichen oder fremdländischen Klanges. Doch in ungewohnter Weise von oben nach unten gelesen ergibt sich ein Wortpaar: Normale e anormale (Normal und anormal). Diese Stickarbeit gehört zur Werkgruppe der Arazzi piccoli (Kleine gestickte Schriftbilder), die mit der Werkgruppe Ordine e disordine 1970  ihren Anfang nahm und seit 1972 fester Bestandteil von Boettis Schaffen wurde.

Alighiero Boetti thematisiert in diesen Schriftbildern die allumfassende Ordnung von kosmischer und irdischer Welt. Normale e anormale spricht von Polaritäten, von miteinander verbundenen Dualismen, die letztlich eine dualistische Einheit formulieren. Westliches und östliches Denken werden – gesetzt ins Quadrat – zu einer neuen Form überführt und laden ein, unser Denken in Bewegung zu setzen und zugleich sich dem Reichtum der Sinne und der Schönheit zu öffnen. «Von jedem dieser Stücke habe ich hundert Exemplare produziert. Aber jedes für sich ist anders, wegen der Farben und wegen der Unterschiede der Stickerinnen. Es sind weder Originale noch Multiples: Sie gehören in eine neue Kategorie, auf einem Markt, der völlig verschieden von dem meiner anderen Werke ist. Jemand hat mir einmal gesagt, ich hätte das erste Bild einer volkstümlichen Concept Art geschaffen ...»

Christiane Meyer-Stoll

<b>Alighiero Boetti, Normale e anormale, 1987</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.