Kunstwerk des Monats Dezember

Karl Fred Dahmen, Ohne Titel, 1956

Karl Fred Dahmen

*1917 in Stolberg, †1981 in Preinersdorf, Deutschland


Ohne Titel, 1956


Kohlestift und Tusche auf Papier
19x28cm

Contemporary Art Foundation

Die Herrschaft der Nationalsozialisten und der Zweite Weltkrieg bedeuteten für Karl Fred Dahmen wie für viele deutsche Künstler seiner Generation eine Zäsur. Anfang der 1950er-Jahre sucht er, u.a. auf mehreren Paris-Reisen, nach einer Neuorientierung und findet sie in der Begegnung mit dem Tachismus (von franz. «tache», Fleck). Dahmen wird in der Folge Teil der sich in Deutschland bildenden Bewegung des Informel, einer abstrakten Richtung, in deren Zentrum das Malen als dynamischer Prozess, die im Bild sichtbar werdende Geste des Künstlers steht. Er tritt der «Gruppe 53» bei, die sich während ihres Bestehens 1953–59 dafür einsetzt, zeitgenössischer abstrakter Kunst ein Forum zu bieten und deren Position in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken.

Während seiner Paris-Aufenthalte lotet Dahmen die Möglichkeiten aus, seinen Eindruck der Stadt ins Bild zu übersetzen. Auf anfänglich noch ihren gegenständlichen Ursprung zu erkennen gebende Darstellungen folgen bald abstrakte Gebilde wie im vorliegenden Werk Ohne Titel, 1956. Die Beschränkung auf unterschiedlich intensive Schwarztöne lenkt die Aufmerksamkeit auf Strichführung und Struktur. Die dickeren Kohle- und die feineren Tuschelinien bilden ineinander verkeilte Gitter. An manchen Stellen sind sie luftiger, an anderen so dicht, dass der Bildgrund kaum noch zu sehen ist. Die Verschachtelung der Gitter und die abrupt wechselnden Rhythmen der Striche lassen trotz des gleichbleibenden Grundprinzips keine Einheitlichkeit entstehen. Es herrscht Gewirr und zugleich Ordnung, Starre und Bewegung halten sich die Waage. So ist nicht nur in der Strichführung Dynamik ersichtlich, auch das Gitterwerk ist nicht abgeschlossen. Viel unbemalter Bildgrund suggeriert die Möglichkeit weiterer Ausdehnung. Trotz aller Geradlinigkeit ergibt sich die organische Anmutung von etwas Gewachsenem oder im Wachsen Begrif- fenen. Auch wenn dieses Werk einerseits noch entfernt die Assoziation an einen Stadtplan oder eine Luftaufnahme weckt, vermag es andererseits vor allem die paradoxen Eigenschaften von Städten als geordnet und chaotisch, von Menschen geplant und organismengleich, bedrückend-bedrängend und dynamisch-offen zum Ausdruck zu bringen.

Marion Malin

<b>Karl Fred Dahmen, Ohne Titel, 1956</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.