Kunstwerk des Monats Mai

Lovis Corinth, Apfelblüten und Flieder, 1920, Hilti Art Foundation

Lovis Corinth

* 1858 in Tapiau/Ostpreussen, † 1925 in Zandvoort, Niederlande


Apfelblüten und Flieder, 1920


Öl auf Leinwand
99,5 × 82,5 cm
Hilti Art Foundation, Schaan


Sofern die Gattung des Stilllebens mit dem Gedanken an die Vergänglichkeit alles Irdischen verbunden wird, mag auch dieses Bild dafür als Zeuge gelten. Wie überschwänglich blütenreich die Apfel- und Fliederzweige auch inszeniert sind, ihre Schönheit ist nur von kurzer Dauer. Schon liegen die ersten Blätter verstreut neben der Vase auf dem Tisch. Dass es sich um eine Kristallvase handelt, in welcher die Zweige stehen, erfahren wir aus der kurzen Beschreibung von Charlotte Berend-Corinth, der Ehefrau des Malers, in dem von ihr verfassten und 1958 herausgegebenen Werkverzeichnis der Gemälde Corinths. Sie erwähnt auch das weisse Seidenpapier, das der Vase unterlegt ist, sowie einen Aquarellkasten mit Pinsel und das Wasserglas. Darüber hinaus gibt sie mit der Klopstockstrasse in Berlin den Entstehungsort des Bildes an. Dort wohnte und arbeitete Lovis Corinth seit 1901.

Stillleben, insbesondere mit Blumenarrangements, bilden in Corinths späterer Lebensphase mit mehr als 70 Werken nummerisch die stärkste Gattung. Sie zeigen ein Höchstmass an Souveränität und Freizügigkeit des Malers im Umgang mit der Farbe, für Corinth von Beginn an das wesentliche Gestaltungsmedium seiner Kunst. Das Gemälde Apfelblüten und Flieder vereint in sich ein dunkeltoniges mit einem hellen, impressionistischen Kolorit. Zugleich gewinnt die mit hoher Sensibilität und nervöser Hand aufgetragene Farbmaterie dem Bild einen Ausdruckswert hinzu, der dem Expressionismus näher zu stehen scheint als dem Impressionismus.

Ein Schlaganfall mit linksseitiger Lähmung im Jahre 1911 schränkte Corinths Vitalität empfindlich ein. Nach physischer Erholung und erneuter künstlerischer Arbeit vollzog sich in seinem Wesen eine schleichende Veränderung, die seine Ehefrau 1920, also im Jahr der Entstehung des vorliegenden Bildes, wie folgt beschreibt: «Sein Gemütszustand war sehr labil. Immer wieder verzweifelte er an sich selbst, wähnend, er habe nicht geleistet, was er sich vorgenommen hatte.» Der schräge, instabile Duktus des Pinsels und die Auflösung aller Konturen verleihen den Erscheinungen in Corinths Spätwerk eine Flüchtigkeit, die jede Substanz zu verzehren scheint.

Uwe Wieczorek

 

«Die wahre Kunst ist Unwirklichkeit üben.»

Lovis Corinth

<b>Lovis Corinth, Apfelblüten und Flieder, 1920, Hilti Art Foundation</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.