Kunstwerk des Monats September

Brian O'Doherty, The Critic's Boots, 1964–65

Brian O'Doherty

1928 in County Roscommon, Irland


The Critic's Boots (Die Stiefeletten des Kritikers), 1964–65


Lederschuhe, Zeitungsausschnitte, Karton
17 × 45,7 × 45,7 cm, Schuhgrösse 44
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz

 

The Critic's Boots aus dem Frühwerk von Brian O'Doherty thematisiert das innere Spannungsfeld des Künstlers und Intellektuellen O'Doherty, das dessen Schaffen bis heute auszeichnet und lebendig hält. The Critic's Boots spiegelt einen Moment der beruflichen Entwicklung von O'Doherty und ist ein Selbstbildnis als Kunstkritiker. In seinen theoretischen Schriften befasste er sich mit dem Verhältnis von betrachterorientierter Ästhetik und produktionsästhetischen Bedürfnissen von Künstler:innen. Die Arbeit besteht aus einem Paar lederner Chelsea Boots der Grösse 44 auf einer Trägerplatte; sowohl die Schuhe als auch das flache Podest sind vollständig mit Zeitungsausschnitten beklebt. Es handelt sich um Ausstellungsbesprechungen, die O'Doherty für die New York Times verfasste. Die Schuhe trug er, als er in New York als Kunstkritiker unterwegs war. Mit dieser Arbeit nahm der Künstler seinen Abschied vom Tagesjournalismus vorweg, den er 1967 mit dem Sammelband Object and Idea. A New York Journal, 1961–67 vollzog. Die Artikel des präzisen Beobachters handeln von der Aufbruchsstimmung, aber auch von den Animositäten und Konflikten innerhalb der kleinen New Yorker Kunstszene, in deren Zentrum er sich bewegte. Die Themen seiner Beiträge geben einen Hinweis auf das damals einsetzende, schnelle Wachstum, die sich radikal verändernden künstlerischen Praxen und den sich immer weiter öffnenden Handlungsraum der Kunstschaffenden in dieser Stadt. O'Doherty beschreibt die Implosion ästhetischer Kriterien und die Kurzlebigkeit von Trends und Karrieren im Bereich der Kunst. Die Zielkonflikte, die sich für ihn aus seiner Doppelrolle als Künstler und Kunstkritiker ergaben, wirkten sich zunächst hemmend auf die Wirkungsgeschichte des Künstlers O'Doherty aus, prägten sein Schaffen aber zugleich auf interessante und positive Weise. Die Reflexion des Ästhetischen ist eine der Kernaufgaben von Kunstkritiker:innen, sie kann aber auch, wie The Critic's Boots zeigt, Thema der künstlerischen Arbeit selbst sein.

Roman Kurzmeyer

 

«Künstler und Autor sind durch einen Fluss an Worten getrennt, jenseits dessen ... eine Zone des Schweigens liegt, in der die visuelle Kunst verortet ist. In unserer Kultur jedoch bildet Sprache das Instrument, mit dem wir das Visuelle sozialisieren ... Die Kunst widersetzt sich diesem Prozess, indem sie die Sprache dazu bringt, sich selbst zu spiegeln ... Doch das Schreiben über Kunst verrät seine Konventionen zumeist innerhalb einer Generation, wenn Massen an Wörtern auf irgendeiner ästhetischen Müllhalde landen. Das Kunstwerk überdauert die sprachlichen Masken, die wir ihm überstreifen, und wir müssen stets daran arbeiten, sein unergründliches Antlitz wiederherzustellen.»

Brian O'Doherty

<b>Brian O'Doherty, The Critic's Boots, 1964–65</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.