Kunstwerk des Monats Juli

Barry Le Va, On Center Shatter-or-Shatterscatter (Within the Series of Layered Pattern Acts), 1968–1971

Barry Le Va

1941 in Long Beach, USA – 2021 in New York, USA


On Center Shatter-or-Shatterscatter (Within the Series of Layered Pattern Acts), [Über das Zersplittern eines Zentrums-oder-Splitter streuen (innerhalb der Serie von geschichteten Handlungsmustern)], 1968– 1971


Fünf Glasscheiben 91,5 x 151,5 cm, Gesamtdimension variabel
Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz / Ehemalige Sammlung Rolf Ricke im Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz, Kunstmuseum, St. Gallen, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main

 

On Center Shatter-or-Shatterscatter (Within the Series of Layered Pattern Acts) ist ein radikales Werk – heute wie damals, als es zum ersten Mal 1971 ausgestellt wurde. Die Betrachter:innen sehen, wenn sie sich dem Werk nähern: zerbrochene Glasscheiben mit spinnennetzartigen Sprüngen, die übereinander geschichtet auf dem Boden liegen. Dass die oberste Glasscheibe nicht zerbrochen ist, fällt auf den ersten Blick meist nicht auf. Barry Le Va war fasziniert von der genauen Beobachtung und den klaren Schlussfolgerungen eines Sherlock Holmes.

Gerade die Verben des Titels geben erste Hinweise zur Entstehung: Im Zentrum zersplittern bzw. Splitter verstreuen. Dabei lässt die fast zungenbrecherische Aneinanderreihung der Verben im Englischen beim Aussprechen die Handlung nahezu hörbar werden. Um die Bodenskulptur zu formen, benutzt Le Va als Werkzeug einen Vorschlaghammer. Zuerst wird die erste Scheibe zerschlagen, dann die zweite, die dritte, die vierte. Die Geschlossenheit der Form, die für die Künstler:innen der Minimal Art (1960er-Jahre) so bedeutsam war, wird zerstört: Sie löst sich in viele kleine und grosse Partikel auf. Der abschliessende fünfte Akt konserviert den Zustand.

Da sich die Energie aufgrund der Materialeigenschaften des Glases unglaublich schnell überträgt und ausbreitet, entstehen durch die kraftvollen Schläge netzförmige Bruchmuster. Am Ende «malt» sich die Form selbst. So kalkuliert Le Va sowohl den Prozess des Zufalls als auch physikalische Gesetze mit ihren Wahrscheinlichkeiten in seine Arbeit ein. In seinen Notizen und Interviews spricht er immer wieder von Ursache und Wirkung. Zudem spricht diese Arbeit, wie viele von Le Vas Werken, von der Abwesenheit des Körpers – man ist eingeladen, die Spuren des vorangegangenen Prozesses zu lesen.

Christiane Meyer-Stoll

 

«Wenn zum Beispiel eine Glasplatte fallen gelassen wird oder eine Glasscheibe geworfen wird, ergeben sich zwei unterschiedliche Strukturen der Ausbreitung oder Auswirkung, die sich auf ihre Ursache zurückführen lassen. Viele der Werke hatten damit zu tun, solche Unterscheidungen zu treffen. Etwas liegt also genau so wie es liegt, weil diese Aktivität aus dieser Ausgangsposition durchgeführt wurde. Das ist die einzige Ästhetik.»

Barry Le Va

Zitiert nach Nick Kaye, Art into Theatre: Performance Interviews and Documents, Amsterdam, Bd. 16, 1996, S. 41–55, hier S. 42.

<b>Barry Le Va, On Center Shatter-or-Shatterscatter (Within the Series of Layered Pattern Acts), 1968–1971</b>
Das Kunstmuseum Liechtenstein stellt jeden Monat ein Werk aus der eigenen Sammlung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch werden regelmässig Werke aus der Sammlung der Hilti Art Foundation auf diese Weise vorgestellt.